Aus dem Tagebuch eines Kachelofenbauers Mitte des 19. Jahrhunderts

Aus dem Tagebuch eines Kachelofenbauers Mitte des 19. Jahrhunderts

Im Jahre 1984 konnte die Ofenfabrik des Brüderhauses auf eine lange Tradition, auf ihr 225jähriges Bestehen in Neuwied, zurückblicken. Wir hörten an gleicher Stelle ausführlich darüber. Viele ihrer Mitarbeiter waren jahrzehntelang oder ihr ganzes Arbeitsleben mit der Firma verbunden, was auf ein gutes Betriebsklima, die innere Einstellung von Meister und Gesellen und die Arbeitsmoral Rückschlüsse zulässt.

Im Archiv besitzen wir zwei Losungsbüchlein der Brüdergemeine von 1814 und 1815 mit persönlichen Einragungen, die tägliche Begleiter eines Ofensetzers auf seinen auswärtigen Arbeitsstellen waren; seinen Namen wissen wir nicht.
Und aus den Jahren 1840 bis 1842 sind uns Briefe nach Elberfeld, Trier und Koblenz an den „Ofen-Arbeiter“ Ritz überliefert. Wir erfahren, dass so „ 1 Fayence Ofen samt Kiste in 4 Kollis“ immerhin das stattliche Gewicht von „440 Pfund„ besitzt und für die „Fracht bis Coblenz dafür 18 Silbergroschen“ zu entrichten sind. Von Ritzes Kollegen hören wir, arbeitet Umenhofen meist „in dem Niederland“, Walther muß im Oktober 1841 zum „ Militär“ und Müller ist meistens in der Umgebung beschäftigt.
Die „Fabrik“ hofft am 6. April 1841, dass der Ofensetzer Ritz die „etwas krittische Arbeit bei Herrn J. C. Bröcking in Elberfeld zu allseitiger Zufriedenheit vollenden werde. Thun Sie was Sie können, um den Wünschen nachzukommen, doch nichts gegen ihre Überzeugung & Erfahrung, weil sonst der hinkende Bote nachkommen könnte...und suchen Sie auch in Proprität das Möglichste zu erfüllen ...“ Es wird auf gute und einwandfreie Arbeit Wert gelegt.

Ein anderer Kachelofenbauer, Carl Müller (geb. 1828 Fachingen a. d. Lahn), aus einem frommen lutherischen Elternhaus, hat uns sein Tagebuch aus den Jahren 1847/49 hinterlassen. Auf 54 Seiten schildert uns der 20jährige anschaulich seine berufsbedingten Erlebnisse und lässt uns an den Schwierigkeiten und Unbequemlichkeiten des Reisens teilnehmen und den Unruhen der Revolution. Doch lassen wir den jungen Mann selbst zu Wort kommen.

„Es war im Jahr 1847 als ich am zweiten Nov: von Neuwied nach Schlitz reiste. Um 11 Uhr fuhr ich mit dem Dampf-Schiff Schiller von Neuwied nach Bieberich; ...es wurde nur zu bald dunkel, und wir hatten noch die schönsten Gegenden zu passieren; in Bingen konnte man schon nichts mehr unterscheiden, und so fuhren wir mit langer Weile bis Bieberich in aller Finsterniß, kamen dann um sieben Uhr an. Dort traf ich zum Glück einen Reise Collegen bis Wiesbaden ... und kamen nach Verlauf einer kleinen Stunde dort an. Hier suchte ich meinen Bruder auf... und schlief die nacht daselbst. Besah mir des anderen Morgen die Stadt Wiesbaden, und reiste um elf Uhr mit der Eisenbahn nach Frankfurt über Castel; wie die Glocke zwölf schlug war ich in Frankfurt und setzte mich daselbst in eine Droschke und fuhr vor zwölf Kreuzer an die Post, wo ich mit dem Postwagen weiter zu fahren gedachte; allein die Postwagen gingen erst spät in der Nacht ab, und waren dann auch schrecklich theuer, weßhalb ich mich nach einer anderen Gelegenheit erkundigen musste. Ich kehrte im Mannheimer hof ein... und erfuhr dann auch gleich, dass des Abends um 10 Uhr ein Omnibuswagen nach Fulda fahre, welches die Person 2 Fl 48 Kreuzer kostete. Dann ging ich ein wenig in der Stadt herum, ... und ging später zum oben erwähnten Omnibus, wo ich mehrere Passagiere traf...

Es ist doch etwas sehr unangenehmes in der Nacht zu reisen. Wir kamen nach Hanau, wechselten den wagen, kamen dann nach Gellnhausen, bis dann endlich der liebe Tag wieder anbrach; das war eine lange Nacht. So fuhren wir dann noch den ganzen Tag, bis wir endlich in Fulda des Abends um fünf Uhr ankamen; ich logierte in der Krone.... Am Morgen reiste ich dann um halb acht zu Fuß nach Schlitz ab. Ich marschierte tapfer drauf los ... und um elf Uhr kam ich glücklich in dem Gräflich Görtzischen Schloße zu Schlitz an. Etwas furchtsam trat ich in das Innere des Schlosses und hatte nicht genug Augen die Einfachheit desselben zu sehen und dachte in dem Graf einen alten Haudegen mit einem Schnurrbart zu finden, allein es war ein ganz junger Mann von fünf und zwanzig Jahren, ziemlich groß, mit sehr vielen Pocken im Gesicht, Er redete mich ganz freundlich an, weßhalb ich auch gleich Zutrauen zu ihm fasste. Da es nun im Schloße kein Logis für mich gab, wurde ich in der Stadt in dem Gasthaus zur Hallenburg, bei Herrn Wilhelm Durhardt einquartiert. Der Gastwirth war ein Metzger seiner Profession und zu gleicher Zeit der Hof Schlachtermeister... Ich fing noch an dem nehmlichen Tage meine Arbeit an, mit der herzlichen Bitte zu meinem Gott und Heyland, dass er mir Kraft und Weisheit verleihen wolle, diese meine Arbeit ordentlich zu vollenden. Meine erste Arbeit war einen alten Ofen abzureißen, um ihn in ein anderes Zimmer zu setzen; mit abreißen und wieder aufsetzen verbrachte ich fünf Tage. Ins ganze verweilte ich mich daselbst netto vier Wochen ... Während dieser Zeit hatte ich Gelegenheit eine recht heidnische Kirchweih zu besehen...

Am dritten December wurde ich glücklich mit meiner Arbeit fertig und reiste noch am nehmlichen Tage zu Fuß nach Lauterbach, wo ich im Goldenen Esel logierte. Ohnweit auf einer kleinen Anhöhe steht ein Galgen, es ist ein Schreckbild für alle Räuber und Mörder, denn man kann denselben gewiß zwei Stunden weit sehen.... Der Postwagen ging nun des morgens um vier Uhr von dort ab ... Im schön gepolsterten Wagen legte ich mich in eine Ecke und jetzt gings bei leichtem Schneegestöber in vollstem Kallop (Galopp) über den Vogelsberg. Welch eine raue Gegend ist das bei Wintertag. Es begegnete uns mehrere Männer mit dickem Kittel, als wenn sie auf Raub ausgehen wollten, es war mir recht abendtheuerlich zu Muthe und mein Reisegefährte war nicht recht zum Dißkurs aufgelegt. In Schotten wurden die Pferde gewechselt... und in doppelter Eile gings Berg ab durch ein sehr romantisches Thal. Die erste Station war Nieda (Nidda), wo auch wieder die Pferde gewechselt wurden ... Die Straße führte wieder Berg auf. Oben auf der Berge dachte ich eine Festung zu sehen, als wir aber näher kamen, war es Salz Hausen, eine ungeheuer große Salz Salline, auch ein recht freundliches Städtchen. Die Gegend ist da nun ganz flach, bis nach Frankfurt, sehr fruchtbar, ungeheuer viel Obst Bäume. Als wir nach Reichelsheim kamen, welcher Ort Nassauisch ist, wurde der Wagen ganz voll und um fünf Uhr Abends kamen wir in Frankfurt an. Um sechs Uhr wollte ich mit der Eisenbahn nach Mannheim fahren, welches mir, da doch morgen Sonntag war widerrathen wurde, weßhalb ich dann in Frankfurt über Nacht blieb und in der Reichskrone logierte. Des anderen Morgen fuhr ich um neun Uhr mit der Main-Neckar Eisenbahn nach Mannheim, auf welcher Reise ich drei Stunden zubrachte, es war dies eine tüchtige Thur, es war ein sehr kalter December Wind, welcher durch die Wagen dritter Klasse blies und man konnte fast nicht aus dem Wagen sehen vor Sturm. Um zwölf Uhr war ich dann glücklich, aber ganz erfroren in Mannheim... und ging den nächsten Weg nach dem Ludwigshafen, wo freilich die Eisenbahn erst wieder um fünf Uhr Abends nach Neustadt fuhr...Um ein viertel nach sechs kam ich in Neustadt in aller Finsterniß an bei regen und Sturm und fand in der Nähe in der Stadt Königsberg ein Unterkommen... Des anderen Morgens ging ich zu dem Herrn Notar Werner und fand den Ofenstein schon bereit, packte den Ofen aus, es war alles unversehrt geblieben, In diesem Hause hatte ich es außerordentlich gut... Eine ganze Woche verbrachte ich daselbst und wurde auf den Freitag fertig, wurde on der Frau ausbezahlt, und bekam drei und einen halben Gulden Trinkgeld und die Herrschaft war mit meiner Arbeit außerordentlich zufrieden.

Auf dem Rückweg nach Mannheim hatte es sehr gefroren... und von dort fuhr ich um elf Uhr nach Heidelberg, welches fünf Stunden von Mannheim liegt, aber in einer Stunde gefahren wird. Um zwölf kam ich in Heidelberg an und suchte den Herrn Geheimen Hofrath v. Wangerow auf, welcher in der März-Gasse wohnt ...Ihm überreichte ich ein Schreiben der Fabrik und war froh, dass ich Kost und Logis im Hause bekam, denn ich hatte gut sechs Wochen da zu thun; am größten von den drei Öfen hatte ich allein drei Wochen Arbeit. Ich verbrachte ins Ganze die Zeit sehr angenehm ... und wurde am Ende betrachtet grade als wenn ich zum Haus gehörte. Bei den kurzen Tagen konnte ich nur sieben Stunden arbeiten, und bei Licht geht es nicht. Die Abende verbrachte ich theils mit lesen, theils mit Kinderhalten, und was es sonst noch so allerlei gab. Die Tage vor Weihnachten hatte ich die Abende vollauf zu thun mit Zucker stoßen und mMandeln aufklopfen und allerlei Vorbereitungen auf das Weihnachtsfest, auch Herrichten des Christbaumes, Lichter anstecke, Conditor-Waare dranhängen. Beim Christbescher kam auch mein Name zum Vorschein und ich bekam einen Teller mit einer Weste und sonstige Sachen .... In dem Jahre 1848 verbrachte ich noch stark drei Wochen im Hause. Die neue Arbeit bei Herrn Hofrath Bronn konnte ich noch nicht beginnen, da es acht Grade kalt und das Haus noch zu unfertig war; sie musste daher auf Frühjahr verschoben werden. „ Carl Müller musste die Rückreise nach Neuwied antreten, wo er in der Werkstatt beschäftigt wurde. Er nutzte die Zeit zu einem Besuch seiner Eltern in Fachingen, die er teils mit Postwagen, teils zu Fuß erreichte. Unterwegs ließ er sich von einem Bauern das Gepäck für 35 Kreuzer tragen, und die Lahn überquerte er auf brüchigem Eis.

„Anfang März, als ich einen neuen Ofen bei Schneidermeister Fix in Neuwied setzte brach die Revolution aus.“ In Heidelberg wurde die verschobene Arbeit bei Professor Bronn ausgeführt; „ ...und ich arbeitete von Morgens früh bis Abends halb acht und bracht s meine Arbeit in drei Wochen fertig. Während dieser zeit hatte ich oft Gelegenheit das Thun und Treiben der Republikaner näher zu besehen ... überall traf ich Demokraten an, aber auch noch andere gut gesinnte Leute ...“

Er kehrte wieder nach Neuwied zurück und fuhr, da es anscheinend nicht viel zu tun gab, nach Ostern für sieben Wochen wieder zu seinen Eltern nach Fachingen. „ ... ich traf es nun etwas anders als früher, denn jetzt war Freiheit; jeder der auch nur eine Flinte hatte konnte auf Jagd gehen, denn sie war freigegeben.“ „Ein Brief aus Neuwied rief mich zurück. Dieses mal machte ich die Reise von Fachingen nach Coblenz zu Fuß; ich kam ganz ermüdet nach Neuwied, weil ich das Laufen gar nicht mehr gewohnt war ... Des Morgens wurde ich nach Cöln abgefertigt und fuhr mit dem ersten Schiff ab. Gegen drei Uhr suchte ich dort gleich den Herrn Commisjonaer Schulz in der Juden-Gasse auf ... und fing meine Arbeit bei dem Fräulein von Geyer an; es war eine etwas sehr hart katholisches Fräulein ... auch musste ich in Cöln den nächtlichen Spektackel mit an hören; es ist etwas grausames, wenn ein so rohes Straßenvolk so aus vollem Halse schreit und tobt; ich konnte die ganze Nacht fast nicht schlafen .“Nach Beendigung der arbeit und eingehender Stadtbesichtigung verließ er die unruhige Stadt. Weitere Arbeiten führten ihn nach Heidelberg zum Geheimrath Bau, zum Buchbinder J.C. Wettstein und Herrn Carl Waßmannsdorf in der Flackenstraße sowie zu Herrn Sauerbrunn nach Haßloch, wie uns das auch die erhaltenen Geschäftsbücher der Ofenfabrik ausweisen. Wir können uns die wörtlichen Zitate ersparen, die ähnlich verliefen mit zeitraubenden Anfahrten per Dampfschiff, Postwagen oder zu Fuß auf Schusters Rappen. Es gab immer eine Menge zu sehen, und der aufgeweckte Geist, gepaart mit Humor, im lutherischen Elternhause geprägt, sucht die Eindrücke zu verarbeiten. Schließlich erfährt Carl Müller durch ein Schreiben des Vaters, dass er sich am 2. November des Jahres bei der Militärbehörde in Oranienstein (heute Ortsteil von Diez) vorstellen muss.

„Zunächst musste ich mich zuhause bei Herrn Justizrath melden und wurde auf der Amtsstube gemessen, ich hatte damals eine Größe von fünf Fuß, sechs Zoll, zwei Strich nassauisches Werkmaaß“ Unter Aufsicht und Führung des jeweiligen Ortsschultheißen kamen die Gemusterten aus verschiedenen Richtungen gen Oranienstein. Vom Rekrutierungsrat, der Fragen stellte, ging es in eine „andere Stube zu den Herrn Doktoren in ein Vor Zimmer, man musste sich bis aufs Hemd ausziehen und warten. Endlich kam die Reihe an mich Darin fand ich drei Civile Doktoren und einen Regiment Doktor ... in einen engen Behälter musste ich dann mein Hemd fallen lassen und alle guckten an mir herum , der eine hintem, der andere vornen und fanden nichts schädliches an mir; mein Kopf mochte ihnen wohl etwas dick sein, denn sie drückten viel an demselben herum; dann konnte ich mein Hemd wieder anziehen und ich war tauglich zum Militär. Die Monate Januar, Februar und Anfang März 1849 verbrachte ich in Neuwied, theils in der Werkstelle arbeiten, theils mit aufsetzen der Öfen in der Vorratsstube, aber um den 10. März herum rief mich die Vaterlandspflicht unter die Waffen“. Ausbildung und Exerzieren in Wiesbaden bei der Artillerie und dann Weinsatz in Schleswig-Holstein „... am 5ten Aprill, wo unsere Artillerie ei Gefecht mit dem dänischen Kriegsschiff Chrystian der VIII zu bestehen hatte“.

Hier bricht das Tagebuch ab. Der damals 20jährige Geselle hat später als Werkmeister „62 Jahre lang mit unermüdlichem Eifer und größter Treue in der Ofenfabrik gearbeitet“, wie seiner Todesanzeige am 4. März 1904 zu entnehmen ist. Und auch sein Sohn Theodor Müller (geb. 1870 Neuwied) konnte später, was hervorzuheben ist, am 7. April 1935 sein 50jähriges Arbeitsjubiläum in der gleichen Firma begehen. Er wurde 85 Jahre alt und starb hier am 1. September 1955.